Kriegsschiff
und Zeitungsleser in Öl
Franz
Radziwills Gemälde Inselbrücke in Wilhelmshaven
aus dem Winter 1933/34 zeigt den örtlichen Reichskriegshafen mit einem
Hafenbecken im Vordergrund und dem Panzerschiff ›Deutschland‹ im Hintergrund,
dem damals modernsten Kriegsschiff des Deutschen Reiches. Es galt als »Wunderschiff«.
Vorne am Bildrand steht ein Zeitungsleser, in den rechten Vordergrund ragt
der Bug eines weiteren Kriegsschiffs, und links ist eine Drehbrücke
zu sehen, die dem Bild den Namen gab. Die Szene spielt gegen Winterende,
denn das Hafenbecken ist bereits teilweise eisfrei.
»Wunderschiff«
als Verheißung
Die Inselbrücke ist
nicht Radziwills einziges Gemälde mit einem Kriegsschiffmotiv, er
schuf eine Vielzahl von Marinebildern, in denen die Kampfkraft von Kriegsschiffen
gefeiert wurde. Hierzu gehörte auch das Schlachtgemälde Die
Beschießung der Stadt Almeria aus dem Jahr 1938, das als sittlich-moralischer
Tiefpunkt seines Malerlebens bezeichnet werden kann. Radziwills feierte
hier die völkerrechtswidrige Bombardierung der Zivilbevölkerung
der spanischen Stadt im Jahr 1937 durch ein deutsches Kriegsschiff. Er
stellte sich damit an die Seite Adolf Hitlers, der das Kriegsverbrechen
persönlich angeordnet hatte.
Mit der ›Deutschland‹ steht
auch auf der Inselbrücke in Wilhelmshaven ein Kriegsschiff im Mittelpunkt,
dessen Darstellung der Käufer des Gemäldes, der damalige Schiffskommandant
Hermann von Fischel, wegen der militärischen Potenz lobte, die das
Panzerschiff seiner Meinung nach ausstrahlte.
Das Schiffsmotiv ist jedoch
vergleichsweise blass geraten, vor allem, wenn es mit dem zweiten Kriegsschiff
im Vordergrund kontrastiert wird-, einem alten Kahn. Die ›Deutschland‹
verschwimmt fast mit dem schneeweißen Hintergrund.
Franz Radziwill,
Inselbrücke in Wilhelmshaven (1933/34, Ausschnitt/Titelbild).
Auch wenn es sich um eine
Winterlandschaft handelt, das teilweise eisfreie Hafenbecken signalisiert
bereits den nahenden Frühling. Der Frühling war 1933, das Jahr
von Hitlers Machtübernahme, eine Chiffre für den Wiederaufstieg
des Deutschen Reichs. Das stärkste Symbol für den militärischen
Wiederaufstieg war die ›Deutschland‹, das modernste Kriegsschiff des Landes.
Die Funktion
des Zeitungslesers?
Der zentrale Ort,
um sich über das »Wunderschiff« zu informieren, war zur
Entsehungszeit des Gemäldes die Presse. Doch welche Informationen
standen in der Zeitung, die auf Radziwills Gemälde zu finden ist?
In welcher Beziehung standen die deutsche Presse und Deutschlands kampfstärkstes
Kriegsschiff? Das sind Fragen, denen sich eine Bildinterpretation widmen
muss.
Um Hinweise zu bekommen,
wie der dargestellte Zeitungsleser zu deuten ist, wurde eine digitale historische
Medieninhaltsanalyse vorgenommen, die zeigt, dass die Presse nicht kontinuierlich
über das »Wunderschiff« berichtete. Das Schiff war für
die meisten deutschen Zeitungen völlig irrelevant. Selbst diejenigen
Blätter, die sich grundsätzlich für die ›Deutschland‹ interessierten,
befassten sich ab dem Juni 1933 nicht mehr mit dem Thema. Das Schiff verlor
vier Monate nach Hitlers Machtantritt fast völlig seine Relevanz.
Selbst Marine-affine Zeitungen und die streng militaristische NS-Presse
verschwiegen fortan Deutschlands modernstes Kriegsschiff. Radziwills Zeitungsleser
erfuhr insofern nichts über das Schiff.
Der Grund für die Presseabstinenz
waren die Bestimmungen des Versailler Vertrags, der die Marinerüstung
des Deutschen Reiches stark beschränkt hatte. Hitler wollte die militärische
Rolle Deutschlands zwar grundsätzlich durch Aufrüstung stärken,
was dazu führte, dass die NS-Propaganda die Flotte zunächst groß
feierte.
Kraft an
die Kette gelegt
Bereits nach kaum vier Monaten
drehte sich jedoch der Wind. Hitler hatte aus außenpolitischen Gründen
beschlossen, das Thema Aufrüstung kurzfristig zurückzustellen,
um den Siegermächten des Ersten Weltkriegs keinen Anlass zu einer
militärischen Intervention zu bieten. So betrieb der NS-Staat offiziell
überraschend eine stärker pazifistische Außenpolitik. Heimlich
jedoch wurde weiter der Krieg vorbereitet.
Diese Heimlichtuerei spiegelte
sich auch in der von der NSDAP gleichgeschalteten deutschen Presse, die
nichts mehr veröffentlichte, was ein Licht auf die Rüstung hätte
werfen können.
Als modernstes Kriegsschiff
der Reichsmarine war die ›Deutschland‹ besonders stark von der Heimlichtuerei
betroffen, was erklären könnte, warum Radziwills das Panzerschiff
auch auf seinem Gemälde sehr zurückhaltend ausgeführt hat.
Der Maler dürfte vermutlich darüber im Bilde gewesen sein, dass
es sich bei der Verbannung der ›Deutschland‹ aus der Öffentlichkeit
um ein zeitlich überschaubares taktisches Manöver der NS-Führung
handelte, aber – siehe das Frühlingsmotiv – das Erwachen des Panzerschiffs
absehbar war. Das Gemälde stellt insofern eine Phase des Abwartens
bzw. einen Schwebezustand dar, während der der Schiffskommandant von
Fischel auf das offizielle Signal zum Aufbruch wartete.
Zeitungsleser
als Symbol der Hoffnung
Das Erwachen erfolgte bereits
Anfang April 1934, als Hitler die ›Deutschland‹ zunächst symbolisch
in Besitz nahm, in dem er sein Foto in der Offiziersmesse aufhängen
ließ. Drei Tage später begab sich der Reichskanzler auch noch
persönlich an Bord, um die von der Besatzung lang ersehnte Ausfahrt
mitzumachen. In der Presse wurde das Kriegsschiff seither ausführlich
öffentlich begleitet.
Zeitungsausschnitt mit Adolf Hitlers erster öffentlich dokumentierten
Fahrt auf dem »Panzerschiff ›Deutschland‹« (Bochumer Anzeiger,
19. April 1934).
Für Radziwill, den
mit ihm befreundeten Schiffskommandanten Hermann von Fischel und die gesamte
Marineführung endete damit die Zeit der Winterstarre, die auf der
Inselbrücke abgebildet war, und die Phase der öffentlichen Huldigungen
begann.
In diese Bilderzählung
lässt sich auch der Zeitungsleser integrieren, der ein Symbol für
das erhoffte Ende der Winterstarre ist.
Inhalt
- Radziwills militaristischer
Seeblick
- Die Inselbrücke
und der nationalsozialistische
militärische
Aufbruch
- Das Panzerschiff in der
NS-Presse nach Hitlers
Machtantritt
- Die NS-Pressepolitik
im ersten Jahr von Hitlers
Reichskanzlerschaft
- Der Wandel der nationalsozialistischen
Presse-
propaganda 1934
- Der Zeitungsleser aus
dem Reichskriegshafen
- Kurzfassung
Matysiak,
Stefan (2023): Zeitungsleser im Kriegshafen. Franz Radziwills Inselbrücke
in Wilhelmshaven und die Presse im Nationalsozialismus. Eine digitale historische
Medieninhaltsanalyse. Mit 17 Abbildungen. Norderstedt: BoD. ISBN 978-3-7528-7968-1
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