Vom Nationalsozialismus zum Kommunismus.
Die ostdeutsche Nachkriegspresse zwischen Kontinuität und Neubeginn. 

Der Beginn des ostdeutschen Pressewesens verlief anders als bislang beschrieben - bereits ab Ende April 1945 kamen die ersten (bisher unbeachteten) Nachkriegsblätter heraus.
 

Inhalt:

  • Vom eingeschränkten Neuanfang nach dem Ende des NS-Pressesystems; 
  • das Weiterleben traditioneller Zeitungen; 
  • die amerikanische Pressepolitik in Ostdeutschland; 
  • die ersten ostdeutschen Nachkriegszeitungen

››› Bilder, die den Neuanfang der ostdeutschen Presse nach dem Zweiten Weltkrieg als radikal und vollständig illustrieren, prägen bis heute - zu unrecht - sowohl die ost- als auch die westdeutsche Pressegeschichtsschreibung. 

Für das westdeutsche Mediensystem vermittelte vor allem die Formel einer ›Stunde Null‹ oder eines ›Jahres Null‹ den Eindruck eines großen Bruchs, der das nationalsozialistische Pressesystem von der nach 1945 entstandenen Demokratie trennte. Eine solche Formel »beinhaltet sowohl Vorstellungen vom totalen Zusammenbruch und der Infragestellung der bisherigen historischen Entwicklung Deutschlands als auch die Hoffnung auf einen mit diesem radikalen Kontinuitätsbruch verbundenen völligen Neuanfang«. Die Westalliierten setzten nach diesen Vorstellungen eine vollständige Schließung der Presse durch (›Blackout‹), der den Nullpunkt der Erneuerung markiert. 

Für Ostdeutschland entsprach diese ›Stunde Null‹ dem Begriff des ›Vakuums‹, bei dem ebenfalls nach einem totalen Bruch ein vollständiger Neuaufbau der Presse gefolgt sein sollte.

Der ostdeutsche Neuaufbau gilt als besonders konsequent, da er neben der Entnazifizierung zugleich den sozialistischen Wandel der Eigentumsformen einschloss. Nach den bisherigen Darstellungen folgten auf den am 8. Mai 1945 durchgesetzten Blackout der Presse für einige Wochen lediglich sowjetische Militärblätter, aus denen sich die Bevölkerung informierte, als erstes ab dem 15. Mai 1945 die Tägliche Rundschau. Erst am 13. Juni sei dann mit der kommunistischen Deutschen Volkszeitung wieder eine deutsche Presse erschienen. Diese Nachkriegsblätter hatten allesamt keinerlei Bezüge mehr zur Vorkriegszeit. 

In der DDR sei dabei eine neue Presse entstanden, die nicht mehr von Privatpersonen, sondern von Parteien und Verbänden herausgegeben wurde. Während in Westdeutschland die von den westalliierten Militärregierungen mit einem Arbeitsverbot belegten Zeitungsverleger nach der Gründung der Bundesrepublik die Gelegenheit hatten, in das Zeitungsgeschäft zurückzukommen, wurde beim Neuaufbau der ostdeutschen Presse vor allem die frühzeitige und dauerhafte Veränderung der Eigentumsverhältnisse betont: »Der eklatanteste Unterschied der sowjetischen zur westlichen Pressepolitik war die auf Dauer durchgeführte Beschlagnahmung und Enteignung allen verlegerischen Eigentums, das im Juli 1945 auf die deutschen Zentralverwaltungen in der SBZ übertragen wurde«, so etwa Kurt Koszyk. (Zur Geschichte der ostdeutschen Traditionsverleger nach 1945 siehe auch hier.)

Tatsächlich jedoch wurden nach Kriegsende in Ostdeutschland zunächst auch traditionelle Zeitungen wieder erlaubt. 

Die erste ostdeutsche Nachkriegszeitung war jedoch weder die
Tägliche Rundschau noch die Deutsche Volkszeitung. Denn bereits zuvor waren lokal wieder Tageszeitungen erschienen. 

Nach dem Krieg kam es zum einen im kurzzeitig von April bis Juli 1945 von amerikanischen und britischen Truppen besetzten Teil der späteren DDR zu einem kurzen »Pressefrühling«, in dessen Verlauf eine große Zahl von alteingesessenen Verlagen wieder Zeitungen herausgab. Die Palette reichte von neu gegründeten Bekanntmachungsblättern bis zu Tageszeitungen mit einer zum Teil mehr als einhundertjährigen Tradition. Diese Zeitungen bekamen eine militärbehördliche und amtlich-zivile Funktion, die zumeist in den Zeitungsköpfen vermerkt war. Kontrolliert und zensiert wurden die Zeitungen von den westalliierten Militärbehörden. Die Zeitungen informierten und instruierten die Bevölkerung, sie verkündeten die Aufhebung alter nationalsozialistischer und die Gültigkeit neuer Gesetze und dienten der Herstellung von Ruhe und Ordnung sowie der Förderung des Wiederaufbaus.

Unter den Gegebenheiten der Nachkriegszeit waren diese Zeitungen vielfach unverzichtbar, da sie in unterschiedlicher Form einen Beitrag zum Wiederbeginn eines öffentlichen Lebens leisteten. Auch wenn die Zeitungen häufig vor allem Bekanntmachungen und Anzeigen druckten, sah die Bevölkerung in der Herausgabe erster Zeitungen die Einkehr eines Mindestmaßes an Stabilität und Normalität - wenn Zeitungen wieder erschienen, musste der Krieg zuende sein. Für die Verleger verband sich mit dem Erscheinen der Zeitung die Hoffnung auf eine baldige umfassende Wiederaufnahme der redaktionellen Arbeit. Ihnen gelangen mit den dünnen Blättchen erste Schritte in die Nachkriegszeit, was sich teilweise auch bis in später folgende sowjetische Besatzungsphase fortsetzen sollten.

In jenen Teilen Ostdeutschlands, die von der Roten Armee erobert worden waren, wurden die Verlage anfangs zumeist geschlossen. Aber auch in einigen Teilen des sowjetischen Machtbereichs erschienen kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee nach kurzer Pause bereits wieder Zeitungen. Wie im anglo-amerikanischen Machtbereich erfüllten die Zeitungen auch unter der sowjetischen Verwaltung wichtige Aufgaben für den Wiederaufbau des öffentlichen Lebens. Sie informierten und instruierten die Bevölkerung und trugen zur Stabilisierung der »Zusammenbruchsgesellschaft« bei.

Lange vor der Täglichen Rundschau und der Deutschen Volkszeitung, nämlich ab dem 25. April 1945, erschien so beispielsweise mit westalliierter Genehmigung in Langensalza der Allgemeine Anzeiger und drei Tage später erstmals nach dem Kriegsende auch der Mühlhäuser Anzeiger - die beiden frühesten ostdeutschen Nachkriegszeitungen. Zuvor waren hektographiert bereits ab dem 14. April die Buchenwalder Nachrichten erschienen. Und ab dem 8. Mai wurde - mit sowjetischer Genehmigung - in Coswig die Rote Fahne, ab 9. Mai das Annaberger Tageblatt/ Obererzgebirgische Zeitung, ab 10. Mai die Chemnitzer Nachrichten, ab 11. Mai in Meißen die Volksstimme sowie viele weitere Zeitungen  wieder herausgegeben.


Mühlhäuser Anzeiger, erste Nachkriegsnummer vom 28.4.45.


Chemnitzer Nachrichten, erstmals erschienen am 10.5.45.


Annaberger Tageblatt, erstmals nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen wieder erschienen am 9.5.45.


Benburgische Zeitung, erstmals nach dem Krieg wieder erschienen am 6.6.45.

Insgesamt konnte in den ersten Nachkriegswochen eine Vielzahl von traditionellen Zeitungen wieder erscheinen. Dabei entstanden (auch im Zuge spontaner Enteignungen) neue ›antifaschistische‹ Lokalzeitungen, doch kamen daneben auch traditionelle Zeitungen wieder heraus. Alteingesessene Verleger fanden den Übergang in die neue Zeit, indem sie ihre Zeitungen an die in den Kommunen entstandenen neuen politischen Verhältnisse anpassten, die durch überparteilich antifaschistische oder kommunistische Bewegungen geprägt waren. Zu den Blättern, die auf eine lange Tradition zurückblicken konnten, gehörten etwa:
 
Zeitung
Gründungsjahr
Mühlhäuser Anzeiger
1775
Bernburgische Zeitung
1797
Glauchauer Zeitung
1802
Annaberger Tageblatt
1807
Nachrichten für Grimma
1813
Crimmitschauer Anzeiger und Tageblatt/ Stadt- und Landzeitung
1848/1883
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
1850
Stadt- und Landzeitung, Calbe/Saale
1875
Mylauer Tageblatt und Anzeiger
1875
Allgemeiner Anzeiger, Langensalza
1879
Lugauer Zeitung
1884

Auch wenn die westalliierten Militärbefehlshaber insgesamt häufiger kleine lokale Zeitungen und Mitteilungsblätter genehmigten, erschienen diese auch unter der sowjetischen Besatzungsmacht in einzelnen Landesteilen fast flächendeckend.


Ostdeutsche lokale Nachkriegspresse im sowjetischen Machtbereich Mai bis August 1945

Als sich die politische Lage mit der Konsolidierung der sowjetischen Besatzung nach wenigen Wochen stabilisierte, fand diese erste Gründungsphase ein Ende. Die zuvor erlaubten Tageszeitungen wurden wieder geschlossen. Ab Juni 1945 setzte eine zweite Gründungsphase ein, in deren Verlauf zuerst in der Reichshauptstadt Berlin zentrale Parteizeitungen erschienen. Im Juli/August 1945 folgten den Ländern der SBZ die ersten Landeszeitungen der KPD, ab Herbst auch der anderen Parteien - jene Presse, die allgemein zu unrecht als erste ostdeutsche Nachkriegspresse beschrieben ist

Stefan Matysiak 


Hier mehr zum Thema 'ostdeutsche Presseentstehung 1945'


Bürger im thüringischen Weimar lesen die US-amerikanische Heeresgruppenzeitung Hessische Post.
 
 
Meine Medienthemen:

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Stefan Matysiak:

Grundlage

Bilder, die einen vollständigen Neuanfang der deutschen Presse nach dem Zweiten Weltkrieg illustrieren, prägen bis heute sowohl die ost- als auch die westdeutsche Pressegeschichtsschreibung. Der ostdeutsche Presseneuaufbau gilt als besonders konsequent, da er neben der Entnazifizierung zugleich den frühzeitigen sozialistischen Wandel der Eigentumsformen einschloss. Die vorliegen-de Arbeit untersucht dagegen die verlegerischen Kontinuitäten der Zeit nach 1945: Die Pressegeschichte der ostdeutschen Nachkriegszeit hat nicht - wie vielmals behauptet - mit einem Blackout oder einem Vakuum begonnen, die Entwicklung der ostdeutschen Vorkriegspresse brach nicht mit der Kapitulation am 8. Mai 1945 vollständig ab. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den nach dem Kriegsende weiter bestehenden Zeitungen, die auf den ersten Blick nicht in das bisherige Bild der Pressegeschichte passen wollen, nachzuspüren. Dabei wird gefragt, in welchem Ausmaß traditionelle Zeitungen oder Verlage das Kriegsende und die Enteignungen überstanden, welche Rolle die alteingesessenen Zeitungen in der Nachkriegszeit spielten und wie sie in das politische Konzept der Sowjetischen Militäradministration passten. Schließlich wird geklärt, inwieweit die alteingesessenen Verlage einen Beitrag beim Aufbau eines neuen ostdeutschen Pressewesens leisteten Stefan Matysiak

Die erste ostdeutsche Zeitung bzw. die erste ostdeutsche Tageszeitung nach dem Krieg war nicht die Tägliche Rundschau oder die Deutsche Volkszeitung, heißt es hier auf der Webseite. Sondern die erste ostdeutsche Nachkriegszeitung erschien bereits Wochen früher.
Matysiak, Stefan: .

Die sowjetische Besatzungsmacht und später die DDR-Regierung vergaben Lizenzen nur an Parteien und große Organisationen. Lediglich zwischen 1946 und 1953 konnten auch private Tageszeitungen erscheinen, so die Leipziger Zeitung, Berlin am Mittag, Altenburger Nachrichten, in Weimar die Abendpost, in Potsdam die Tagespost und der Nacht-Express in Berlin. Der Express-Verlag konnte sich dabei mit Zeitschriftentiteln wie Illustrierter Radsport-Express, Der Sammler-Express oder Der Kleingärtner und Siedler zu einem differenzierteren größeren Verlag entwickeln. Auch die liberaldemokratischen Parteizeitungen Norddeutsche Zeitung oder Der Morgen hatten anfangs private Lizenzinhaber. Die privaten Zeitungen wurden jedoch bis spätestens Anfang der 1950er Jahre geschlossen bzw. die Lizenzen auf die ostdeutschen Parteien übertragen. Nachkriegszeitung/Nachkriegszeitungen bzw. Nachkriegspresse

Die Lizenzen waren bis zum Zusammenbruch der DDR nötig, um einen Titel publizieren zu dürfen. Die Anzahl der Tageszeitungen der DDR blieb dadurch während der vierzig Jahre nahezu konstant. Auch in der DDR wurde in der Verfassung die formelle Pressefreiheit verankert. Jedoch gab es durch Verordnungen, Bestimmungen und Kontrollen der Behörden zahlreiche Einschränkungen, so dass von einer Pressefreiheit, wie westliche Demokratien sie kennen, nichts mehr übrig war. Ein Pressegesetz gab es nicht. Auch von einer Informationsfreiheit kann man nicht sprechen.

Vertrieben wurden die Titel ausschließlich über den Postweg, so konnte der Staat am besten seine Kontrolle ausüben. Kontrolliert wurden die Massenmedien durch den Staatsapparat, oberste Behörde war hierfür die Abteilung Agitation und Propaganda des Zentralkomitees der SED.

Genehmigte, aber trotzdem nicht gern gesehene Publikationen hatten durch Restriktionen oft Rohstoffmangel, um ihre Titel drucken und veröffentlichen zu können. Die Tageszeitung mit der höchsten Auflage war die Junge Welt der FDJ (1989 circa 1,3 Millionen Exemplare), vor Neues Deutschland (1989 knapp eine Million Exemplare), dem Zentralorgan der SED. 1989 gab es in der DDR noch 39 Tageszeitungen, davon 30 Regionalzeitungen. Ihre Gesamtauflage betrug um die 9,7 Millionen Exemplare. Die SED selbst gab 15 Bezirkszeitungen heraus, diese wurden nach der Wiedervereinigung an westdeutsche Verlage, durch die Treuhand, verkauft. Zu den Printmedien der DDR gehörten außerdem 30 Wochenzeitungen und Illustrierte, darunter Fernseh-, Familien-, Frauen- und Modezeitschriften (insgesamt circa neun Millionen Exemplare); nicht zu vergessen die sehr beliebte und noch heute viel zitierte Satirezeitschrift Eulenspiegel.

Steuerung der Inhalte der Medien

Gegenstände und Schwerpunkte der Berichterstattung der Medien wurden zentral vorgegeben. Diese zentrale Vorgabe erfolgte durch das Politbüro des Zentralkomitees (ZK). Dem ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda war unter anderem die Abteilung Agitation unterstellt, die für die Organisation und Lenkung der Massenmedien verantwortlich war. Instrumente der Steuerung waren tägliche Konferenzen in Berlin, Konferenzschaltungen zu den übrigen SED-Zeitungen und Presseanweisungen. Ein weiteres Instrument waren die „Anleitungen“ des Presseamtes der DDR-Regierung.[2]

Auf lokaler Ebene erfolgte dieser Prozess über die staatlichen „Ämter für Information“, die ebenfalls „Anleitungen“ gemäß der Ost-Berliner Vorgaben erließen. Auch über die Parteizentralen wurde eine indirekte Zensur durch die Vorgabe von den Redaktionen täglich über Fernschreiber zugestellten Pflichtthemen, Kommentarargumenten, Schlagzeilenformulierungen und „Sollplänen“ ausgeübt. Unter Redakteuren der Provinzzeitungen herrschte deshalb das geflügelte Wort: „Meine Meinung kommt um zwei Uhr aus Berlin!“