Gemälde mit Zeitungsmotiven

Schlaglichter auf die deutsche Pressegeschichte

Aus einem Bestand von deutlich mehr als 700 Gemälden, die ein Zeitungsmotiv enthalten, finden Sie hier eine kleine Auswahl. Sie finden die Bilder und jeweils eine Erläuterung der Bildinhalte.

   Themen
    >>  Konzentriertes Lesen im Vormärz
    >>  Genremalerei: idylle mit Zeitungsleser
    >>  Kleinstädter mit Hakenkreuzzeitung
    >>  Bismarck mit Zeitung und Königspudel
    >>  Presse in Grosz‘ „Stützen der Gesellschaft“
    >>  Zeitung lesende Frauen
    >>  Immer schlechtere Kriegsberichte
    >>  Nach 1945: Konfrontation mit der Schuld
    >>  DDR-Zeitung mit göttlichem Auftrag
    >>  Pressealternativen im Sozialismus
    >>  Deutscher Herbst
Konzentriertes Lesen im Vormärz

Bevor es ab März 1848 in Deutschland zur bürgerlichen Revolution kam, hatten verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen intensiv um politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheiten gerungen. Zeitungen spielten bei der Meinungsbildung eine wichtige Rolle.


Unbekannter Maler, Zeitungsleser im Kerzenschein (1841), Repro: Matysiak.

Das Gemälde zeigt einen konzentriert im Kerzenlicht die Zeitung lesenden jungen Mann, der derart in die Presse vertieft ist, dass er die Welt um sich herum (und den brennenden Hut) vergisst. 
 

Stefan Matysiak, 9.12.2019



Rückblick mit Wehmut – Bismarck mit Zeitung und Königspudel

Das Jahr 1923 war in Deutschland eher katastrophal: So gab es diverse Putschversuche und eine Hyperinflation. Eine aggressive Boulevardpresse befeuerte die Furcht vor Chaos und Krise, was den Wunsch nach stabilen Verhältnissen wachsen ließ. Vor diesem Hintergrund entstand das Bild Bismarcks, der "eiserne Kanzler" des untergegangenenv Kaiserreichs und Symbolfigur deutscher Größe.


C. B., Reichskanzler von Bismarck (1923), Repro: Matysiak

Das Bild  zeigt den zeitungsliebenden Reichskanzler als reflektierten, gut informierten Staatenlenker. Zu seinen Füßen sitzt ein Königspudel, in der wllhelminischen Klassengesellschaft das Haustier höchster Kreise. Das im Krisenjahr 1923 gemalte Bild blickt in eine heile Welt zurück.
 

Stefan Matysiak, 9.12.2019

 

Zeitung lesende Frauen

Als sich Ende der 1870er Jahre ein älteres Ehepaar dazu entschloss, sich in Öl portraitieren zu lassen, entstanden zwei Gemälde, die den im 19. Jahrhundert gültigen Geschlechterstereotypen folgten: Der Mann wurde mit einer Zeitung und die Frau mit einem Buch, vermutlich eine Bibel, dargestellt. 


August Friedrich Siegert, Zwei Portraits eines Ehepaares (Mann) (1879), Foto: Barridoff Galleries.


August Friedrich Siegert, Zwei Portraits eines Ehepaares (Frau) (1879), Foto: Barridoff Galleries.

Dass Zeitungen damals männlich konnotiert wurden, belegen auch Stillleben, auf denen  Zeitungen zusammen mit anderen von Männern genutzten Objekten arrangiert sind, etwa eine Zeitung mit Bierhumpen und Pfeife.


N.N., Stillleben mit glimmender Pfeife (um 1900), Foto: Wendl.

Diese Darstellungen folgten der männlich geprägten Vorstellung, beim Medienkonsum gebe es eine universelle, biologisch begründete Geschlechterdifferenz, die jedem Geschlecht einen eigenen Lesestoff zuwies: Zeitung lesende Frauen verstießen gegen die natürliche Ordnung.

Die Ansicht war auch bei gesellschaftlichen Eliten verbreitet. Der Philosoph Friedrich Nietzsche bezeichnete zum Beispiel Zeitungsleserinnen als „entweiblicht“. Frauen waren seiner Ansicht nach für das „Zeitunglesen und Politisieren“ nicht geeignet. Zeitung lesende Frauen galten ihm als „etwas vollkommen Widriges oder Lächerliches“, denn derart emanzipierte Frauen entzögen sich ihrem „ersten und letzten Berufe, kräftige Kinder zu gebären“. (Nietzsche 1886)

Nietzsches Philosophenkollege Otto Weininger legte dar, dass Frauen natürlicherweise die intellektuelle Basis fehle, Zeitung zu lesen. „Für den Staat, für Politik, für gesellige Gemütlichkeit hat die Frau keinen Sinn.“ Frauen seien triebgesteuert, weshalb sie als Lesestoff allein „sinnliche[…] oder obszöne[…] Dichtungen oder Romane“ wählten, in denen eine „ungeheure Spannung auf dem Moment des Koitus“ liege. Es fehle den Frauen an Rationalität – "Wie imponiert ihr nicht alles, was in der Zeitung steht, wie leicht fällt sie nicht dem dümmsten Aberglauben zum Opfer, wie probiert sie nicht sofort jedes Wundermittel, das ihr eine Nachbarin empfohlen hat!“ (Weininger 1903)

Im Sinne dieses Frauenbildes veröffentlichte die Presse im 19. Jahrhunderts regelmäßig Witze über Zeitung lesende Frauen, etwa 1875, als ihnen das dazu notwendige politische Hintergrundwissen abgesprochen wurde:


Aus: Unterhaltungsblatt der Ingolstädter Zeitung, 29.11.1875.

Die Vorstellung, Frauen könnten gleich den Männern Zeitung lesen, galt den Zeitgenossen als so absurd, dass dieser Rollenverstoß zum Thema humoristischer Postkarten wurde. Auf einer Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Silvesterkarte liest etwa eine Frau die männlich konnotierte Zeitung, während der Mann am Herd die Frauenrolle als Köchin einnimmt – Das Zeitunglesen markiert den grundsätzlichen Rollentausch mit Machtwechsel, wie es im daneben stehenden Spottgedicht heißt:

     „Und sie hat die Hosen an,
     Du bist Weib und sie der Mann.“


N. N., Prosit Neujahr (Silvesterkarte) (um 1900), Repro: Matysiak.

Als Folge der medialen Geschlechterstereotypen bekamen Frauen nur einen sehr begrenzten Zugang zu Zeitungen. Privat war es zwar unproblematisch, Zeitungen zu abonnieren. Wollten sich Frauen aber umfassender und aus vielen unterschiedlichen Zeitungen informieren, hätten sie ihren Informationshunger wie die Männer in öffentlich zugänglichen Räumen wie Lesehallen stillen müssen, wie es etwa Theodor Fontanes Heldin Mathilde Möhring in der gleichnamigen Novelle tut: 

   «Wo gehst du denn eigentlich immer hin, Thilde?» 
     «Lesehalle für Frauen.» 
     «Und da?» 
     «Da les ich Zeitungen.» 
     «Aber Hugo kriegt ja doch jeden Tag eine.» 
     «Freilich. Aber eine is nicht genug; ich brauche viele.»

Diesen öffentlichen Raum gab es zwar für Männer, dass Frauen Zugang hatten, war jedoch eine Besonderheit, wie 1894 die Allgemeine Zeitung aus der königlich bayerischen Hauptstadt München berichtete  (V. R. 1894): 

Während sich in Deutschland lebende US-Amerikanerinnen in München, Berlin, Dresden, Leipzig und Stuttgart eigene „Lesecabinete“ einrichteten, in denen sie „während ihres Hierseins amerikanischen Lesestoff in Hülle und Fülle“ vorfanden, hatten deutsche Frauen „keine ordentliche Lesegelegenheit“. Auch die Existenz der von Fontane beschriebenen Berliner Damenlesehalle hat sich bislang nicht belegen lassen.

Versuche, Frauen den Zutritt zu den Zeitungslesesälen der Männer zu gewähren, trafen vielerorts auf einen massiv frauenfeindlichen Widerstand. So wurden Frauenbesuche abgelehnt, weil sie als geschwätzig galten. Frauen müssten fern bleiben, denn in den Lesesälen habe Ruhe zu herrschen, was Frauen überfordere. „Von einer Anzahl versammelter Damen Stillschweigen zu verlangen, sei eine Folter, gegen deren Grausamkeit alle im Panopticum aufgestellten Marterinstrumente Kinderspiel  wären.“ (V. R. 1894). 

Eine Alternative waren Säle nur für Frauen.1892 berichtete eine Illustrierte zwar über eine Damenlesehalle in Berlin.


E. H., Ein Damenlesesaal in Berlin (1892), Repro: Matysiak.

In dieser Lesehalle  saßen jedoch keine Frauen, die "politisieren" wollten, sondern es kamen Frauen, die lediglich die frisch gedruckten  Stellenanzeigen lesen wollten. Zudem fehlen Beispiele aus anderen Städten.


N.N., Ein Damenlesesaal in Berlin. In: Das Buch für alle, 1892.

Dass Zeitung lesende Frauen eine weitgehende gesellschaftliche Ächtung erlebten, führte auch dazu, dass Zeitung lesende Frauen bis in das 20. Jahrhundert hinein ein nur selten gewähltes Bildmotiv blieben. Das änderte sich erst während des Ersten Weltkriegs, der für einen ersten Schub von Akzeptanz des weiblichen Zeitungslesens sorgte. So produzierte der Maler Brynold Wennerberg beispielsweise um 1915 ein Gemälde, das zwei vergnügte Zeitungsleserinnen zeigte und das in ganz Deutschland abertausendfach als Postkarte verbreitet wurde.


Brynolf Wennerberg, Der günstige Heeresbericht (1915) , Repro: Matysiak.

Zeitung lesende Frauen werden hier positiv dargestellt. Grund für den Sinneswandel waren jedoch Emanzipation, sondern die Frauen im Gegenteil unter Kontrolle zu behalten. Weil der Krieg dazu führte, dass viele Familien ohne die an der Front kämpfenden Männer auskommen mussten, sollten Frauen jetzt Zeitung lesen, um von der staatlichen Kriegspropaganda erfasst werden zu können. Dem massenhaften Sterben im Schützengraben sollte in den Zeitungen positive Erzählungen entgegengesetzt werden, wie Wennerbergs Bild  „Der günstige Heeresbericht“ zeigt.

Nach dem Ersten Weltkrieg verbesserte sich die Frauenrolle. Sie erhielten nicht nur das Recht auf politische Mitbestimmung wie das aktive und passive Wahlrecht, sondern der gesellschaftliche Wandel führte zum Bild der Neuen Frau. Diese Frauen waren selbstbewusst und lässig, sie trugen eine Bubikopffrisur und leichte Kleider. Und selbstverständlich lasen sie auch Zeitung.


Hans Hassenteufel, Zeitungsleserin (1929), Foto: Ketterer.

 

Stefan Matysiak, 9.12.2021



DDR-Zeitung mit göttlichem Auftrag

Die wichtigste Zeitung der DDR war das Neue Deutschland (ND), das offizielle "Zentralorgan der SED". Klaus Webers Gemälde "Mauerbau" von 1962 dokumentiert die zentrale Rolle, die das Blatt in der staatlichen Propaganda spielte. 


Klaus Weber, Mauerbau (1962), Foto: Museum der Bildenden Künste  Leipzig.

Dargestellt ist die Nacht nach dem Mauerbau. Die Szene ist in düsteren Farben gemalt: Die Mauer ist errichtet. In fast völliger Dunkelheit lagern im Schatten zweier Panzer einige tarnfarbene Soldaten und Mitglieder paramilitärischer Betriebskampfgruppen. Die beiden schemenhaft erkennbaren Geschützrohe begrenzen den oberen Bildrand. Im Hintergrund zeichnet sich das Brandenburger Tor ab.

Im Bildzentrum halten zwei Miliionäre ein Neues Deutschland in den Händen, die erste Nummer nach dem Mauerbau. Gebracht haben diese Zeitung zwei Frauen, die durch rote Mäntel farblich hervorgehoben sind. Eine ist mit dem Verteilen des Blattes befasst. 

Neben dem Rot der Frauen strahlt die in der Bildmitte platzierte Zeitung, die einen zentralen Fixpunkt des Gemäldes darstellt, besonders hell. Dieses Leuchten rückt das Neue Deutschland in die Nähe einer göttlichen Offenbarung. Das rote Gewand der Frauen unterstützt den sakralen Eindruck.

Wie die frohe Botschaft lautete, die die auf dem Bild beglückten Kämpfer verkündet bekamen, zeigt der Aufmacher des auf dem Bild gezeigten realen Neuen Deutschlands vom 14. August 1961. Darin erklärte die SED den Mauerbau zu einer „Maßnahme zum Schutze des Friedens und zur Sicherung der DDR“. 

Das dargestellte Personal nimmt die Botschaft mit sichtbarer Freude auf. Das regimetreue Gemälde spiegelt damit die von der SED behauptete „Zustimmung des größten Teiles der Berliner Bevölkerung“ (ND, 14.8.1961). 
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Stefan Matysiak, 2.2.2022



Kleine Pressealternativen im Sozialismus

Der Linolschnitt „Stilleben mit Kanne“ von Helmut Gebhardt zeigt neben einer Kaffeekanne eine Zitrone und den spiegelverkehrten Schriftzug „UNION“. Die Union war die Dresdner Tageszeitung der DDR-CDU. Abgebildet ist von ihr der invertierte Zeitungskopf. Die Ausführung ist kubistisch und erinnert insbesondere durch die Verwendung des Zeitungsmotivs formal an Pablo Picasso oder Juan Gris.


Helmut Gebhardt, Stilleben mit Kanne (1974). Foto: Galerie Himmel, Dresden.

Da sie denselben politischen Vorgaben folgen musste wie das staatlich Leitmedium Neues Deutschland, war es für die ostdeutsche CDU-Presse schwer, sich inhaltlich abzugrenzen. Die Union versuchte dies vor allem über ihren Kulturteil zu erreichen, der ihr in Dresden eine hohe Nachfrage bescherte.

Gebhardts Motiv zeigt auf formalem Weg den Unterschied der kulturpolitischen Vorstellungen von SED- und CDU-Blättern: Er setzt dem doktrinär vorherrschenden Sozialistischen Realismus den in der westlichen Moderne verankerten Kubismus entgegen:

Stefan Matysiak, 21.10.2022

 

Deutscher Herbst 1977: Tiefpunkt der bundesdeutschen Pressefreiheit

Seit 1970 wurde die deutsche Bevölkerung mit bewaffneten Aktionen der Roten Armeefraktion (RAF) befasst. Mit der Entführung des Präsidenten des Bundesverbandes der Arbeitgeber, Hanns Martin Schleyer, und später eines Passagierflugzeugs erreichte der Linksterrorismus im September und Oktober 1977 seinen Höhepunkt, den sogenannten "Deutschen Herbst". Die RAF wollte ihre Geiseln gegen inhaftierte Gesinnungsgenossen freipressen. 

Im Zuge der Schleyerentführung setzte die  Bundesregierung die grundgesetzlich garantierte Pressefreheit aus, verfügte eine Nachrichtensperre und betrieb Desinformation. Sämtliche deutsche Medien folgten einer staatlich verordneten Selbstzensur.  Das Bild „Stillleben mit Zeitung“ bezieht sich direkt auf diese Ereignisse: 


Thomas Niggl, Stilleben mit Zeitung (1977), Foto Artnet.

Unten links ist ein im Oktober 1977 genutztes Fahndungsplakat eingefügt. Am unteren Rand stehen groß in blutroter Farbe Initialen des Entführten, Dr. H. M. [Schleyer]. Am oberen Rand findet  sich der Schriftzug Köln, wo Schleyer entführt worden war. Und als Kern des Bildes finden sich im Zentrum zwei Zeitungsausschnitte, auf die bereits der Bildtitel verweist.

Für die deutsche Pressegeschichte bedeutete weniger die Entführung Schleyers als die Unterdrückung der Nachrichten eine Zäsur. Vor dem Hintergrund der einseitig staatlichen Vorgaben gehorchenden Medien begannen bereits seit Januar 1978 unterschiedliche Initiativen daran zu arbeiten, eine unabhängige alternative Zeitung zu gründen, in der Gegeninformationen und Gegenmeinungen publiziert werden konnten. Das Ergebnis der Bemühungen war die alternative Tageszeitung, die ab April 1979 täglich erschien:

Die taz würde es ohne die RAF nicht geben. Der Deutsche Herbst, die Toten in Stammheim, die Nachrichtensperre und die Hatz auf Sympathisanten waren die Initialzündung für die Gründung der taz.“ (Reinecke 2020: 6). 

Thomas Niggls Bild thematisiert die staatlichen Presserepressssionen, die mit dem "Deutschen Herbst" einher  gingen
 

Stefan Matysiak, 9.12.2019



(c) 2017-2022
  Genremalerei: Kleinstädtische Idylle mit Zeitungsleser

Seit Mitte der 1870er Jahre wurden vermehrt auch in kleinen Landstädten Zeitungen gegründet. Solch eigene Zeitungen waren für die lokale Bevölkerung das eindeutige Zeichen, dass die Moderne auch das beschauliche  Landleben erfasst hatte. 

Der Boom von Zeitungsgründungen hatte große Auswirkungen auf die Kunstproduktion, indem Zeitungen in der volkstümlichen Portraitmalerei ein gefragtes Bildmotiv wurden. 

In dieser sogenannten Genremalerei waren kleinstädtische Zeitungsleser seit den 1880er Jahren und bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts ein extrem populäres Gemäldemotiv, das ebenso reißenden Absatz fand wie Bauern mit Biergläsern oder Win saufende Mönche. Maler produzierten diese Gemälde wie am Fließband. Ein typisches Beispiel ist das Gemälde „Pfeifenraucher mit Dachauer Anzeiger“.


Albert Wachter, Pfeifenraucher mit Dachauer Anzeiger (um 1900), Foto: Matysiak.

Der 1899 erstmals erschienene Dachauer Anzeiger war nur eine von zwei Zeitungen, die zur Jahrhundertwende in Dachau erschienen. Neben dem Anzeiger wurde seit 1874 der Amper-Bote gedruckt. Damals löste die gerade im Deutschen Reich eingeführte Pressegewerbefreiheit den Gründungsboom bei Lokalzeitungen aus. 

Mit dem deutlich sichtbare Schriftzug "Dachauer" bediente Adolf Wachter nicht nur die Nachfrage nach dem Genremotiv Zeitungsleser. sondern die Ortsbezeichnung diente ihm zugleich als Qualitätsnachweis. Denn in der Stadt hattenin den 1870er Jahren an der Münchener Malerschule ausgebildete Genremaler die Künstlerkolonie Dachau, um kleinstädtische Szenerien als Beispiele idyllischer Lebenswelten auf Leinwand zu bannen. Mit dem Schriftzug "Dauchauer" wies sich Wachter als Teil der angesehen Malergilde aus.
 

Stefan Matysiak, 9.12.2019



Kleinstädter mit Hakenkreuzzeitung

Mit dem Aufstieg der NSDAP politisierte sich auch die Genremalerei. Der Maler Otto Kirchner, der mehrere Dutzend Zeitungsleserportraits auf Leinwand oder Holz bannte, warb 1932 mit einem Leser des Völkischen Beobachters um nationalsozialistische Kundschaft.


Otto Kirchner, Zeitungsleser [1932], Foto: Pinakothek der Moderne.

Stefan Matysiak, 9.12.2019



Presse in Grosz‘ „Stützen der Gesellschaft“: 
Blut und nicht Blut und Boden

1918 wurde in Berlin zwar die Republik ausgerufen, republikfeindliche, antidemokratische Kräfte verfügten jedoch über beträchtlichen politischen bzw. gesellschaftlichen Einfluss. Eines der zentralen Bilder, dass die rechtsradikale Bedrohung der Demokratie thematisierte, war George Grosz‘  „Stützen der Gesellschaft“ aus dem Jahr 1926. Es stellt die bedrohlichen Eliten dar - Juristen, Militärs, Kapitalisten, Kirche -, die die Gesellschaft jedoch nicht stützen, sondern autoritär umwälzen wollten.

Als Teil dieses politischen Geflechts ist auf dem Bild auch ein Mann abgebildet, der im linken Arm eine Reihe Zeitungen und in der rechten Hand einen Bleistift hält (Bildausschnitt). Diese Figur trägt die Gesichtszüge Alfred Hugenbergs. Hugenberg, eigentlich einer der führenden Köpfe der im ersten Weltkrieg erstarkten Schwer- und Rüstungsindustrie, hatte seit 1913 aus vielen Tageszeitungen, Nachrichtenbüros, Anzeigenvermittlungen und Filmunternehmen einen riesigen Medienkonzern aufgebaut, der eine bis dahin „noch nie dagewesene publizistische Machtfülle verkörperte“ (Anonymus 1964, S. 89).


George Grosz, Stützen der Gesellschaft (Ausschnitt) (1926), VG Bild Kunst.

Mit seinen Medien nahm Hugenberg während der Weimarer Republik direkten und indirekten inhaltlichen Einfluss auf mehr als ein Drittel der deutschen Presse. Seine politische Agenda war vom Ziel der Beseitigung der Demokratie und der Wiederherstellung der Monarchie bzw. der Errichtung einer Ditatur getragen. Als Führungsperson der rechtsextremen Deutsch-nationalen Volkspartei nutzte er seine Medienmacht, um große Teile der Bevölkerung für den Aufbau eines totalitären Staates zu gewinnen. Wegen seines großen Einflusses gilt Hugenbergs Medienimperium als „Steigbügelhalter“ des Nationalsozialismus. 

Grosz malte Hugenberg mit einem Nachttopf auf dem Kopf, um ihm eine beschränkte geistige Zurechnungsfähigkeit zu attestieren.vBei den Zeitungen, die Grosz dem Medienmogul Hugenberg in die Hand legte, handelt es sich um die vier Berliner Titel Deutsche Zeitung, Berliner Lokal-Anzeiger, 8-Uhr-Abendblatt und BZ am Mittag

Nach Ansicht der Kunstgeschichte gehörten für Grosz alle diese Blätter zum „reaktionären Establishment“ (etwa Fulda 2009: 207). 

Eine nähere Analyse des Zeitungsmotivs begründet allerdings Zweifel daran, dass es Grosz (einzig) darum ging, die Presse als rechtsradikal zu skizzieren. Denn obwohl sie alle mit der Person Hugenberg verbunden sind, hatten diese Blätter unterschiedliche Eigentümer und unterschieden sich auch inhaltlich deutlich.

So umarmt Hugenberg auf dem Gemälde zwar vier Zeitungen, davon gehörten dem Pressezaren jedoch nur zwei, die Deutsche Zeitung und der Berliner Lokal-Anzeiger. Die beiden anderen Blättern waren das Eigentum jüdischer Verleger.

Eindeutig rechsradikal war Hugenbergs Deutsche Zeitung. Sie war das Organ des völkisch-antisemitischen Alldeutschen Verbands und gilt als „eine der radikalsten rechtsnational ausgerichteten Tageszeitungen“ der Weimarer Republik (Leicht 2013: 139). Der Zeitungsname ist jedoch im Hintergrund nur schemenhaft auszumachen, denn vom Zeitungsnamen sind lediglich fünf der vierzehn Buchstaben zu erkennen.

Deutlich präsenter dargestellt ist der Berliner Lokal-Anzeiger. Diese Zeitung war das zentrale Organ des Hugenberg-Konzerns und befeuerte den antirepublikanischen Diskurs, indem es mit unschöner Regelmäßigkeit gegen die Demokratie hetzte (Eitz/Engelhardt 2015, 137-139, 148).

Auf seinem Bild versah Grosz die Zeitung mit den Überschriften „Die morgigen Kommunisten-Demonstrationen. Ausreichender Polizeischutz“, „Starker Rückgang der Konkurse“ und „Bleibt der Bubikopf?“. Eine rechtsextreme Position ist in diesen Zeilen jedoch nur schwer zu erkennen.

Lediglich die Kombination der Begriffe „Kommunisten-Demonstrationen“ und „Polizeischutz“ lässt eine halbwegs politische Aussage erahnen, ist jedoch keine explizit rechtsradikale Schlagzeile. Die anderen von Grosz aufgegriffenen Themen, „Konkurse“ und „Bubikopf“, drucken überhaupt keine rechtsradikale Agenda aus.

Die beiden anderen Blätter, die Grosz dem rechtsradikalen Pressezaren in den Arm malte, hatten nicht nur andere Eigentümer, sondern sie waren politisch anders positioniert:: Das 8-Uhr-Abendblatt und die BZ am Mittag waren  nicht rechtsradikal, sondern wurden von den beiden liberalen Zeitungshäusern Mosse und Ullstein verlegt. Den Verlagen kann keine antidemokratische Propaganda vorgeworfen werden.

Dass Grosz diesen Blättern eine rechtsradikale Agenda unterschieben wollte, ist nicht ersichtlich. Beim 8-Uhr-Abendblatt und bei der BZ am Mittag handelte es sich um den Typus Boulevardzeitungen, der durch eine reißerische Berichterstattung gekennzeichnet ist. Als Beispiel für deren reißerische Berichterstattung malte Grosz das 8-Uhr-Abendblatt mit der Schlagzeile „Neuer grausiger Kindermord in Schlesien“

Beide Zeitungen dürften bei Grosz für einen reißerischen und nicht für einen rechtsradikalen Zeitungstypus stehen, den er kritisiert:

Dass Grosz in "Stützen der Gesellschaft" eher die  Berichterstattung der Boulevardpresse als politische Inhalte kritisieren wollte, belegen zwei Bilddetails. 

Die Figur Hugenberg  bekam einen Palmenzweig in die Hand gemalt, ein aus der Antike stammendes Symbol seines publizistischen Siegeszugs. Das kann so gelesen werden, dass sich Hugenbergs reißerischer Stil durchgesetzt hat.

Sowohl der Palmenzweig wie auch der Berliner Lokal-Anzeiger sind zudem mit roter Farbe verschmiert. Mit diesen Verfärbungen markiert Grosz das Bluttriefende der zeitgenössischen Presseberichterstattung. Grosz‘ Zeitungsmotiv steht deshalb für eine Presseschelte, die sich eher an der Fom als den Inhalten entzündete.  Kritik an Hugenbergs rechtsradikaler politischer Agenda scheint kein tragendes Motiv gewesen zu sein.  


Stefan Matysiak, 1.2.2021



Immer schlechtere Kriegsberichte

Auf dem 1944 entstandenen Gemälde "Arzt" von Jörg Mutter ist ein Mediziner in weißem Kittel abgebildet, der in seiner linken Hand eine Zeitung hält, ohne jedoch darin zu lesen. Stattdessen blickt er besorgt sinnend über die Zeitung hinweg in die Ferne. 


Jörg Mutter, Arzt (1944), Foto: Mehlis.

Die Bilditerpretation ergibt sich aus seinem Entstehungsjahres. Die Presse des Jahres 1944 informierte über die sich abzeichnende deutsche Kriegsniederlage, indem sie die Lageberichte der obersten Heeresleitung über den aktuellen Stand der Kampfhandlungen und die näher kommenden Fronten abdruckte. Zeitungsleser konnten sich anhand  dieser Angaben ausrechnen, wann die eigene Region ins Zentrum der Kämpfe rücken würde. Und Ärzte konnten sich ausrechnen, wann die Front so nahe wäre, dass in großen Ausmaß Verwundete zu versorgen wären.
 

Stefan Matysiak, 9.12.2019



Konfrontation mit der Schuld: Presse nach dem Kriegsende 1945

Als sie 1945 Deutschland besetzten, ging es den alliierten Truppen nicht nur um den militärischen Sieg, sondern auch um moralische Erneuerung: In den Köpfen der deutschen Bevölkerung sollte der Nationalsozialismus besiegt werden. 

Um jede Nazipropaganda zu unterbinden, verboten die Sieger zunächst sämtliche nationalsozialistischen Zeitungen. Anschließend veröffentlichten vor allem die britischen und US-amerikanischen Truppen deutschsprachige Zeitungen, mit deren Hilfe sie die Zivilbevölkerung entnazifizieren und umerziehen wollten. Die alliierte Militärpresse wurde in der amerikanischen Zone ab 1945 und in der britischen Zone ab 1946 durch Zeitungen ersetzt, die von deutschen Redakteuren verantwortet wurden. 

Die alliierten Zeitungen informierten die Bevölkerung ausführlich über die nationalsozialistischen Verbrechen und die Aburteilung deutscher Kriegsverbrecher. Bei vielen Deutschen führten solche Berichte zu einem starken Abwehrverhalten oder sie lösten Scham aus. 

Das zeigt das 1945 entstandene Gemälde eines Zeitungslesers.


Unleserlich signiert, Zeitungsleser (1945), Foto: Matysiak.

Der in seine Lektüre vertiefte ältere Mann legt seine Stirn in sehr deutliche Falten, ein Zeichen der Missbilligung der Berichterstattung, aber auch ein Kennzeichen der Scham oder von Überforderung oder Ratlosigkeit.

Dass die deutsche Bevölkerung von der Nachkriegspresse mit unangenehmen Wahrheiten konfrontiert wurde, thematisiert auch das folgende Gemälde, das aus dem Jahr 1946 stammt. 


Fritz Schroeter, Bauernstube (1946), Foto: Hauschildt.

Auf dem Bild ist eine Bauernstube zu sehen, in der sich drei Menschen befinden, vermutlich eine Familie: in der Mitte ein alter Mann, der sich auf einen Gehstock stützt, links – an ein Küchenmöbel gelehnt – eine alte Frau, seine Gattin, und rechts der Sohn, eine Zeitung in der Hand.

Die in Öl gemalte Szene zeigt offenbar eine Vorlesepause.

Alle drei Gesichter wirken negativ berührt. Der Sohn schaut schweigend in die Zeitung. Seine Stirn liegt in Falten, seine Stirn drückt die Missbilligung der Zeitungsinhalte aus. Der Vater starrt gedankenverloren vor sich in die Leere. Dessen Frau blickt zwar noch sinnend in Richtung der Zeitung, aber auch sie scheint ihren Gedanken nachzuhängen. Zeitungen sind in diesem Gemälde von Fritz Schroeter offensichtlich eine Quelle schlechter Empfindungen.

Eines der wichtigen Nachkriegsblätter war Die Neue  Zeitung, das am 18. Oktober 1945 erstmals erschienene offizielle Organ der amerikanischen Militärverwaltung. Sie erreichte die sehr hohe Auflage von 2,5 Millionen Exemplaren. Auf ihre Beiträge sollen im Durchschnitt hunderte, im Einzelfall tausende zustimmende Leserbriefe eingegangen sein. „Meinungsumfragen bestätigen den phänomenalen Erfolg der amerikanischen Zonenzeitung.“ (Kozsyk 1986: 46) 

Auch diese Zeitung sollte den „moralischen, geistigen und materiellen Wiederaufbau Deutschlands“, „die Säuberung von Nazis und Nazitum“ sowie „die Entmilitarisierung Deutschlands“ vorantreiben, so der amerikanische Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower in der ersten Nummer der Neuen Zeitung

Außerdem sollte sie ihren Lesern Einblicke in das Leben und die Denkweise der Vereinigten Staaten vermitteln, die Aufgabe Amerikas in Deutschland schildern und zur Förderung der Freiheit und des Weltfriedens beitragen. Das als qualitativ hochwertig beschriebene Blatt sollte zudem der deutschen Presse ein Beispiel für den guten, neuen, demokratischen deutschen Nachkriegsjournalismus sein.

Im Jahr 1946 wurde die Neue Zeitung zum Thema des Gemäldes "Stillleben mit zwei Schollen und Zeitung" eines unbekannten Künstlers..


N. N., Stillleben mit zwei Schollen und Zeitung (1946), Foto: Schmidt.

Das Gemälde zeigt zwei Schollen, die auf einer Zeitung liegen. Zeitungen dienten damals – in Zeiten größter Papierknappheit – in der Küche als Arbeitsunterlage und beim Kauf der Fische sowie bei der Entsorgung der Fischreste als Einwickelpapier. (Greiner 2016) Die auf dem Gemälde abgebildete Neue Zeitung erfüllt diese Funktion jedoch nicht, denn sie ist so gefaltet, dass die Fische über den Rand der Zeitung hinausragen. In der Realität hauswirtschaftlicher Betätigung hätte die Zeitung quer gelegt und auseinandergefaltet werden müssen. 

Dem oder der Malerin ging es jedoch offensichtlich nicht um die realistische Darstellung eines Küchenstilllebens, sondern die Neue Zeitung wurde auf eine Weise in die Bildszene drapiert,  dass der Zeitungsname sehr deutlich hervorgehoben wird. Es geht nicht um ein beliebiges Zeitungspapier, sondern  um diese spezielle Zeitung.  Das Blatt wird damit als Küchenunterlage für Fische abqualifiziert. 

Ein gesellschaftlich wichtiges Nachkriegsproblem war die sehr schlechte Nahrungsmittelversorgung. Während die deutsche Bevölkerung die längste Zeit des Krieges gut mit Nahrungsmitteln versorgt gewesen war, weil Hitlers Truppen die von ihnen besetzten Länder ausgeplündert hatten, erreichte die Nahrungsmittelversorgung nach Kriegsende vor allem in den Städten nicht mehr den physischen Mindestbedarf an Kalorien. Die deutsche Landwirtschaft konnte das Land nicht ernähren, und die Siegermächte, bei denen ebenfalls Nahrungsknappheit herrschte, lieferten nur so viel nach Deutschland, dass Hungerunruhen ausblieben. 

Die schlechte Lebensmittelversorgung war in der Presse und für die Bevölkerung ein zentrales Thema: Die Besatzungsmächte erklärten die Lage, die Deutschen belagten sich.

Eine drastische Anklage der Besatzungsmacht zeigt das Bild „Vor und hinter der Mauer“ von Fritz Schirrmacher aus dem Jahr 1946. Zu sehen ist die Fassade eines im Krieg beschädigten Hauses. 


Fritz Schirrmacher,Vor und hinter der Mauer (1946), Foto: Bassenge.

„Vor der Mauer“, also auf deren Außenseite, sind  diverse Zeitungsausschnitte plakatiert. Sie handeln von der damals häufig thematisierten schlechten Ernährungslage, sie berichten über Demontagen deutscher Fabriken sowie über Zwangsexporte deutscher Industrieanlagen und Rohstoffe, sie thematisieren aber auch das psychisches Leid der Nachkriegsdeutschen.

     Kohleausfuhr
     Stillegungen und Demontagen
     in der britischen und sowjetischen Zone

     Themen des Tages
     Die Legende
     vom Fett, Fisch, Gemüse

     Heilung seelischer Kriegsschäden.

„Hinter der Mauer“ befindet sich eine Wohnung. Die Fassade weist Kriegsschäden auf, so dass ein Blick ins Innere möglich ist. Dort ist ein Mann zu sehen, der sich erhängt hat. 

Eine Erläuterung des Freitods findet sich ebenfalls auf der Außenmauer, als Zeitungskollage. 


Fritz Schirrmacher,Vor und hinter der Mauer (1946) (Detail).

Die deutsche Bevölkerung sei dazu verdammt, „gehorsam ins Elend [zu] gehen“, klagt das Bild. Der Leichnam und die auf die Außenmauer geklebten Zeitungsausschnitte vermitteln insgesamt die Bildaussage, dass die von den Siegermächten hingenommene Notlage der gepeinigten deutschen Bevölkerung keine andere Wahl als den Freitod lasse. 

Damit entlarvt Gemälde das Selbstmitleid eines Volkes, das die Welt zunächst in Schutt und Asche legte, und erst, als Tod und Hunger ins eigene Reich zurückschwappten, das Protestieren und Jammern  für sich entdeckte. 
 

Stefan Matysiak, 9.12.2019