Wegen der öffentlichen Wirksamkeit der Presse ist die Pressegeschichte voll von Beispielen für Zeitungen, die nicht als den Kapitalverwertungsinteressen unterliegendes Investment gegründet wurden: Als Teil der moralischen Ökonomie entstand vielmehr immer wieder auch eine Presse, die gesellschaftspolitischen sozialen Reformvorstellungen diente. Bereits als der Artikel 4 der Deutschen Grundrechte vom 21. Dezember 1848 für einige Monate die Pressefreiheit postulierte, hatte das ganze deutsche Reich einen Gründungsboom von Zeitungen hinter sich, die unterschiedlichsten politischen Auffassungen zum Durchbruch verhelfen wollten und sich zumeist betriebswirtschaftlich nicht rechneten. Motor solcher gesellschaftlicher Ideen waren auch die sozialdemokratischen Zeitungen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt erschienen. Mit der Herausgabe solcher Zeitungen wurde statt einer Gewinnmaximierung ein gesellschaftliches Reformprojekt verbunden, bei dem Zeitungen als politisches Medium ein Modell und Mittel der gesellschaftlichen Veränderung wurden. Zeitungsverlage wurden für unterschiedlich lange Zeiträume Teil der moralischen Ökonomie. Die Beantwortung der Frage, wie stark der marktwirtschaftliche Rahmen dieser moralischen Ökonomie seinen Stempel aufzudrücken vermag oder ob sich langfristig die Ziele der moralischen Ökonomie mit marktwirtschaftlichen Kriterien wie der betriebswirtschaftlichen Rentabilität vertragen, hängt dabei davon ab, auf welche Weise sich die unterschiedlichen sozialreformerisch unterlegten Interessen, die die Unternehmen der moralischen Ökonomie durchziehen, durchsetzen können. Zeitungsverlage, die ethische Kriterien zum Maßstab des Handels haben, sind anders als die konventionellen kapitalistisch orientierten Verlagsbetriebe durch eine größere Zahl von unterschiedlichen, teilweise divergierenden Zielvorstellungen bestimmt, die teilweise im Widerspruch zu den Anforderungen des Marktes stehen können. In der konventionellen Ökonomie
existiert eine relativ klare Abgrenzung von insgesamt vier mit der Produktion
und/oder der Konsumtion befassten Akteursgruppen und ihren Interessen (Tabelle
1), die allein von den Kapitalverwertungsinteressen der Verlagsseite dominiert
werden.
Während die Verlagseigentümer schwerpunktmäßig kommerzielle Interessen vertreten, kommt dem Herausgeber konventioneller Zeitungen die Durchsetzung inhaltlicher Aspekte und die Aufgabe der Bewahrung einer ›Blattlinie‹ zu, wobei es jedoch beim größten Teil der deutschen Tageszeitungen keinerlei selbständigen Herausgeber gibt, sondern diese Rolle ebenfalls vom Verlag ausgefüllt wird. Auf der Konsumentenseite verfolgt auch die Leserschaft inhaltliche Interessen, während die Belegschaft vor allem für arbeits- bzw. sozialpolitische Belange steht. Die Durchsetzung inhaltlicher oder sozialpolitischer Interessen von Herausgebern oder Belegschaft hängt allein von den Spielräumen ab, die die Verlagseigentümer angesichts der wirtschaftlichen Grundbedingungen zu gewähren bereit sind. Die sozialreformerischen Funktionen von Zeitungen Bei Zeitungen, die im Bereich
der moralischen Ökonomie entstanden, bilden die finanziellen Interessen
demgegenüber lediglich einen von mehreren Handlungshintergründen.
Als Akteure engagieren sich nicht nur die Verlagseigentümer bei der
Zeitung, sondern je nach Projekt können auch Herausgeber, Belegschaft
und Leserschaft besondere Ziele durchzusetzen suchen, die über das
Verfolgen von Kapitalinteressen hinausgehen. Die Kapitalseite tritt dabei
nicht in der Form eines oder mehrerer Unternehmereigentümers auf,
sondern ist an unterschiedliche Eigentumsformen gebunden, die über
die Einbindung von Organisationen oder großen Eigentümergruppen
rein monetäre Interessen ausschließen sollen. Zentrale Kategorien
des ethischen Handelns betreffen dabei Fragen der inhaltlichen Gestaltung
bzw. Nutzung der Zeitung, die Gestaltung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten
sowie die Verwendung der aus ihrem Vertrieb evtl. entstehenden Überschüsse
(Tabelle 2).
Zeitungsverlage bekommen im Rahmen der moralischen Ökonomie über die finanzielle Funktion hinaus auf der Beschäftigtenseite eine sozialpolitische Vorbildfunktion, eine Forumsfunktion für die Leser und eine persuasive Funktion für die politischen Ziele der Herausgeber. - Finanzierungsfunktion Die Finanzierungsfunktion ist eine der ältesten Aufgabe jener Zeitungen, die nicht den Kapitalinteressen eines privaten Eigentümers dienen. Vor allem über die Verwendung ihrer Erträge bekamen schon die ersten Presseunternehmen karitative Aufgaben übertragen, die über eine reine Erfüllung der Mehrwertinteressen privater Kapitaleigentümer hinausgingen. So hatten bereits viele Intelligenzblätter des 18. Jahrhunderts - mit einem herrschaftlichen Monopol versehene Anzeigenzeitungen, aus denen die heutige Lokalpresse hervorging - ihre Monopolgewinne an Einrichtungen der Sozialfürsorge abzuführen. Auf diese Weise entstanden die Intelligenzblätter in Potsdam, Arnstadt, Hanau, Wernigerode oder Kassel im Dunstkreis örtlicher Waisenhäuser, denen der Druck und der Verlag oblag. Auch das Finanzinteresse politischer bzw. sozialreformerischer Bewegungen an den Zeitungserträgen erwachte bereits früh, so bei der SPD, die sich im Verlauf des späten 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts ein flächendeckendes Netz von Lokalzeitungen zulegte. In der Sozialdemokratie fielen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderte aus profitablen Parteiunternehmen Überschüsse an, die zur Finanzierung der politischen Arbeit in die Kassen der kapitalgebenden Parteigliederungen flossen. Ab 1925 führten die sozialdemokratischen Betriebe zwei Prozent des Umsatzes an die SPD ab, womit die Presse über die Finanzierung der Partei den politischen Zielen der Arbeiterbewegung zu dienen hatte, und besonders in den ersten Jahren nach 1945 leistete die sozialdemokratische Presse einen entscheidenden Beitrag zur Finanzierung der Partei. Ebenso begannen sich auch die Ende der 60er Jahre entstandenen Gruppen und Grüppchen der neuen sozialen Bewegungen durch die Herausgabe von Zeitungen, Broschüren und Raubdrucken zu finanzieren. - Persuasive (Werbe-) Funktion Neben dieser Finanzierungsfunktion hatten gerade auch Parteizeitungen und andere Weltanschauungsblätter eine Werbefunktion. Diese Zeitungen waren Partei und dienten der Vermittlung politischer Ideen nach Außen. Die Herausgeber setzen dabei ihre Zeitung offensiv als Instrument der Meinungsbildung ein, um unter der Leserschaft nicht nur einen publizistischen, sondern auch einen politischen Erfolg zu erringen. Die Parteizeitungen übernahmen dabei eine politische Lenkungs- und Steuerungsfunktion für die Expansion der Reformbewegung. »Hier wurden dem lesenden Arbeiter von intellektuellen Autoritäten, die seine eigenen Werte und Grundhaltungen teilten, die größeren Zusammenhänge der gegenwärtigen Verhältnisse und Ereignisse erklärt«, so SPD-Presse-Forscher Danker. Programmatische sozialdemokratische Zeitungsnamen wie Wahrheit oder Vorwärts künden von dem Anspruch, die Leserschaft zu lenken und zu mobilisieren. Auch die konfessionelle Presse wie die Nachrichtenagentur epd wurzelte in der Idee, in und mit den eigenen Medien im Sinne der eigenen Anschauungen Wertevermittlung zu betreiben. In der Demokratie betrifft diese Funktion für das Wertesystem insbesondere die Demokratiefunktion. - Forumsfunktion Bereits der sozialdemokratischen Presse war auch eine Forumsfunktion eigen, bei der es nicht allein nach außen um die Werbung für eine politische Bewegung ging, sondern nach innen um die Selbstorganisation der Bewegung und die Widerspiegelung ihrer Interessen in der Zeitung. Der konkurrierenden konventionellen Presse, deren Inhalte von den politischen Interessen ihrer Kapitaleigner bestimmt wurden, sollte eine alternative Berichterstattung gegenübergestellt werden, die der Selbstvergewisserung der Bewegung und ihrer politischen Selbstentwicklung diente. »In der Parteizeitung fand der überzeugte Sozialdemokrat das politische Tagesgeschehen aus ›seiner›‹ Perspektive wiedergegeben und kommentiert – für viele Arbeiter eine neue, wichtige und das Selbstbewusstsein der jungen Arbeiterbewegung erheblich stärkende Erfahrung!«, so Danker. Eine ähnliche der politischen Selbstentwicklung dienliche Forumsfunktion gewann die Presse der neuen sozialen Bewegungen in den 1960er/70er Jahren, eine Phase, die durch eine verstärkte Monopolisierung der Presse bestimmt war. Die konventionellen Medien gerieten in die Kritik, da die »Beziehung zwischen Medium und Empfängermassen […] eine Herrschaftsrelation darstellt«, wie 1974 Franz Dröge kritisierte. Negt/Kluge beklagten 1972, dass sich die Öffentlichkeitsbereiche »tendentiell in den unmittelbaren Verwertungszusammenhang des Kapitals einordnen«, wobei laut Hermann Schweppenhäuser (1971) Presseverlage »Fabriken wie andre [seien], geleitet von Inhabern der Produktionsmittel, konkurrenzfähigen Kapitalisten, die nach den Grundsätzen der Mehrwertproduktion rentabel und profitabel agieren müssen, wollen sie den Lebensgesetzen warenproduzierender Gesellschaft genügen«. Die konventionelle Presse wurde für die Ausbeutung von Bewusstsein, Wünschen, Hoffnungen und Vorstellungen des Menschen verantwortlich gemacht, weshalb Eckart Spoo von ihr nicht erwartete, »dass sie eine Mobilisierung der Öffentlichkeit gegen die Herrschaftsverhältnisse vorantreibt, von denen sie selber geprägt ist«. Als Gegenprojekt zur bürgerlichen Öffentlichkeit entstand so seit den 1960er Jahren eine eigene ›linke‹ Gegenöffentlichkeit , bei der Zeitungen und Broschüren jener im Zuge der Studentenrevolte politisierten Bewegung eine Forumsfunktion boten. Als Forum ermöglichten sie öffentlichen Austausch und Diskussion sowie eine für die sozialen Bewegungen selbstorganisierende Funktion. Größtes und stabilstes Projekt dieser linken Gegenöffentlichkeit ist die Berliner tageszeitung, die eigens in ihrem Redaktionsstatut verankert hat, sich für eine kritische Gegenöffentlichkeit zu engagieren. Jan Feddersen: »Die taz war nicht nur das Forum, um der uniformen Berichterstattung des Deutschen Herbstes 1977 etwas entgegenzusetzen. […] Die taz war vor allem ein Blatt, dessen Mitarbeiter (und LeserInnen) darauf bauten, daß ihre Welt darin gespiegelt wurde. Und das war eine antibürgerliche, antispießige...« - Vorbildfunktion (soziales Modell) Wesentlicher Bestandteil der Konzepte ethisch begründet agierender Zeitungsverlage waren zudem soziale Ansprüche, die bei den Mitarbeitern sozialdemokratischer Betriebe zu einer arbeitsrechtlichen Besserstellung gegenüber den Beschäftigten konventioneller Verlage führten und den Unternehmen der moralischen Ökonomie eine Vorbildfunktion für das Erreichen einer besseren Welt zuwiesen. »Mitarbeiter in Parteiunternehmen wurden für die gleiche Arbeit weitaus besser bezahlt als ihre Kollegen bei der bürgerlichen Presse, bekamen zusätzlichen Urlaub und bessere Sozialleistungen«, so Danker. Neben diesen Sozialleistungen übernahmen verlegerische Reformprojekte jedoch auch bei der betrieblichen Mitbestimmung Modellfunktionen. Gerade im redaktionellen Bereich gehören dazu auch Forderungen nach Mitbestimmungsmöglichkeiten bei den Zeitungsinhalten, die die Entfremdung der abhängig beschäftigten Redakteure von der Arbeit auflösen sollten und die bis hin zu Versuchen reichten, die Trennung von Arbeit und Kapital durch Formen der Selbstverwaltung aufzulösen. Während in konventionellen Verlagen Beschäftigte keinerlei Mitbestimmungsrechte über inhaltliche oder personelle Fragen hatten, wurde bei der tageszeitung etwa festgelegt, dass die Mitarbeiter der Zeitung die Entscheidungsbefugnis erhalten und die redaktionelle und personelle Gestaltung nicht von Geldgebern oder Eigentümern bestimmt werden, um die Autonomie der Mitarbeiter zu wahren. Die Dimensionen des ethischen Handels können bei Zeitungen, die als Reformprojekte gegründet wurden oder aus Reformströmungen stammen, unterschiedlich zusammengesetzt sein, das Handeln innerhalb der Reformmodelle kreist jedoch jeweils um eine oder mehrere dieser vier Funktionen. Ihre Gewichtung ist abhängig von der politischen Ausrichtung der Träger des Verlags und vom angestrebten Markterfolg; sie wird beeinflusst von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die die Reformverlage am Markt vorfinden. Auswirkung der Funktionen der Reformpresse auf den Markterfolg Zeitungen sind wie die meisten Unternehmen aus dem Bereich der moralischen Ökonomie nicht so marktgängig wie konventionelle Produkte. So reduzieren inhaltliche Vorgaben wie die Agitation für eine bestimmte politische Position die Leserreichweite, bessere soziale Standards erhöhen gleichzeitig die Kosten. Diese Begrenzungen müssen von den Marktbedingungen mitgetragen werden können, deren Konkurrenzsituation jedoch nur begrenzt Kompromisse zulassen. Die Lebenschancen von nach ethischen Kriterien geführten Zeitungsverlagen bemessen sich dabei nach der ökonomischen Reichweite der einzelnen Funktionen (Tabelle 2), die das Reformprojekt für die jeweils beteiligten Akteure zu erfüllen hat. Vor allem Verlage, die für
die in ihnen wurzelnden Bewegungen eine Vielzahl von unterschiedlichen
Funktionen zu erfüllen haben, sind in Krisenzeiten schwer zu führen.
Die unterschiedlichen und teilweise divergierenden Ansprüche stellten
etwa die sozialdemokratischen Verleger immer wieder vor heftige Entscheidungsprobleme:
Der Gegensatz von einerseits Marktanforderungen und andererseits Reformvorstellungen stellte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die sozialdemokratische Presse vor die Frage, wie die Werbefunktion ihrer Presse zu bewahren ist. Nachdem ein großer Teil der politischen Zeitungen bis in das wilhelminische Kaiserreich hinein Partei- und Parteirichtungszeitungen (auch von Liberalen, Konservativen oder der Zentrumspartei) mit politischem Anspruch gewesen waren, entstand bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine neue Presse, die sich unpolitisch gab und das Ziel hatte, den Lesermarkt nicht nach politischen Segmenten, sondern in seiner ganzen politischen Breite abzudecken. Mit dem Aufkommen dieser unpolitischen ›Generalanzeigerpresse‹, die wegen ihrer hohen Anzeigenerlöse billig oder auch gratis angeboten werden konnte, entpolitisierte sich der Zeitungsmarkt seit den 1880er Jahren, gleichzeitig weigerten sich die sozialdemokratischen Zeitungen, den neuen unterhaltungsorientierten Stil der neuen Massenpresse zu imitieren. »Die neue Presse setzte auf neue Formen der Leser-Blatt-Bindung, die nicht mehr im politischen, sondern in der Betonung des Privaten und der kleinen lokalen Umwelt wurzelten«, so Presseforscher Stöber. In der Weimarer Republik bedeutete für die sozialdemokratische Presse die aus dieser Konkurrenz entstandene Notwendigkeit, zugleich markt- wie milieuorientierte Medien zu produzieren, einen »Spagat«, der durch die Beteiligung der SPD an der Berliner Reichsregierung nicht einfacher wurde: Alte parteitreue Leser durften nicht verprellt, die SPD-Blätter mussten weiter ein Stück sozialdemokratischer Lebensart bleiben, gleichzeitig aber sollten Angestellte und Beamte als neue SPD-Wähler gewonnen und Anzeigenkunden aus der bürgerlichen Privatwirtschaft geworben werden. Die Verlage sahen sich vor der Anforderung, sich zur Erfüllung der persuasiven und Finanzierungsfunktion stärker an einem Massenmarkt auszurichten und dabei die in der Markt-nische gepflegte Forumsfunktion aufzugeben. Diese Forumsfunktion von Zeitungen, die bestimmte begrenzte Leserbedürfnisse erfüllen soll, reduziert die Absatzchancen. Um jedoch die finanziellen Ansprüche von Herausgebern oder Verlagseigentümern, die für die Finanzierung sozialreformerischer Projekte bzw. der Parteiarbeit nötig waren, erfüllen zu können, müssen die Zeitungen eine möglichst große und damit potentiell über die Bewegung hinausreichende Nachfrage erreichen. Aus finanziellen Gründen besteht Interesse an einem Massenabsatz. Auf der Kostenseite entsteht das Problem, dass erhöhte Aufwendungen, die sich aus der sozialen Modellfunktion von Zeitungen der moralischen Ökonomie ergeben, ebenfalls erst einmal erwirtschaftet werden müssen, was ebenfalls die Bedienung eines Massenmarktes voraussetzt. So ist eine relativ große Ertragskraft nötig, um beispielhafte Sozialleistungen unternehmerisch tragen zu können. Insgesamt stehen die Reformverlage
vor der Entscheidung, inwiefern sie ein massenkompatibles aber u.U. gewinnbringendes
Produkt erzeugen oder zugunsten eines sozialreformerischen Projektes finanzielle
Abstriche machen wollen bzw. können oder ob sie ein Nischenprodukt
anbieten, dass die inhaltlichen Vorstellungen eines begrenzten Marktes
anspricht. Die finanziellen Ansprüche von Herausgebern und Verlagseigentümern
sowie die finanziellen Notwendigkeiten zur Deckung der sozialen Ansprüche
lassen dabei ein Massenprodukt erwarten. Die inhaltlichen Intentionen,
die Herausgeber, Belegschaft und Leserschaft mit einem Reformprojekt möglicherweise
verbinden, erlauben automatisch lediglich die Befriedigung der Bedürfnisse
einer Marktnische (Tabelle 3).
Die Entwicklung der Presseunternehmen
der moralischen Ökonomie hängt vor diesem Hintergrund von den
bestehenden Konkurrenzbedingungen ab. Je stärker der Marktdruck und
je größer die Notwendigkeit, zur Finanzierung der Reformbewegung
Gewinne zu erzeugen, desto größer die Notwendigkeit, das Unternehmen
an einem Massenmarkt auszurichten. Je stärker mit dem Reformprojekt
inhaltliche Ansprüche verbunden sind, desto größer umgekehrt
der Zwang, in der Marktnische für finanzielle Absicherung zu sorgen.
Die Anpassungen der Reformpresse an das Marktgeschehen Die wirtschaftlichen Bedingungen haben sich durch die zunehmende Pressekonzentration und die damit einher gehenden Effizienzzwänge in den letzten Jahrzehnten deutlich verschlechtert, was alle Reformverlage einem starken finanziellen Druck aussetzte, auf den sie unterschiedlich reagierten. Bei der SPD sollte der Gegensatz zwischen den Anforderungen eines Massenmarktes und den Zielen des in der Marktnische sitzenden Kern-Lesermilieus dazu führen, dass die Partei ihre Pressebeteiligungen dem Massenmarkt überantwortete. Sie verzichtete dazu auf jede inhaltliche Einflussnahme auf die Berichterstattung. Zuvor hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg – nachdem Anfangs regional Parteirichtungszeitungen die Presselandschaft bestimmt hatten – unabhängige Blätter zu der von den Lesern bevorzugten Lektüre entwickelt. Der Marktanteil sozialdemokratischer Parteizeitungen sank in diesem parteiskeptischen Klima seit Anfang der 50er Jahre deutlich. »Wo die örtliche Parteileitung auf die Doktrin drückte, sank das Niveau der Parteizeitungen, während die ›Unabhängigen‹ unbeschwert auf Leserfang ausgehen konnten«, beschrieb 1949 der Spiegel die Situation. Die anschließenden Konzentrationsprozesse machten den Pressemarkt für mehr als eine oder zwei Zeitungen zu eng und führten zu einer Aufsplitterung der Medien in jene, die einen Massenmarkt bedienen konnten, und in jene, die für eine Nische produziert wurden oder wegstarben. »Anders als ihre ›überparteilichen‹ Konkurrenten standen sozialdemokratische Presseunternehmen unter einem hohen und mehrschichtigen Erwartungsdruck: Veröffentlichung sozialdemokratisch geprägter Nachrichten und Ansichten, Beitrag zur publizistischen Meinungsvielfalt, betriebswirtschaftlicher Erfolg sowie vorbildliche Vertragsgestaltung und Mitbestimmung für Arbeitnehmer – so lauteten die kaum gemeinsam einlösbaren Ziele«, so Danker. Innerhalb des Zielkonfliktes im kapitalistischen Wirtschaftssystem bestand »nicht die Möglichkeit, drei Dinge gleichzeitig zu tun, a) Musterbetrieb zu sein in einem sehr harten Wettbewerb, b) sehr pointiert parteiliche Meinung zu vertreten, unter Umständen bis in die unterste Ebene hinein und c) auch noch Gewinn zu erwirtschaften unter diesen Konditionen«, bekannte der frühere SPD-Schatzmeister Wilhelm Dröscher. Vor dem Hintergrund immenser wirtschaftlicher Schwierigkeiten stellte sich das SPD-Medienengagement so »insgesamt als ein Rückzugsgefecht dar, das mit der Aufgabe des politischen Anspruchs auf eigene Medien […] mündete«. Die Partei schloss einen Teil ihrer Blätter und brachte einen anderen Teil in Gemeinschaftsverlage mit örtlich konkurrierenden konventionellen Unternehmen ein. Statt inhaltlichem Einfluss verfügt die Partei lediglich noch über Kapitalbeteiligungen an diesen Gemeinschaftsverlagen. Mit ihrer Verlagsholding, der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG), sieht sich die Partei zwar der Tradition sozialdemokratischer Verlagsunternehmen verpflichtet, die Parteiholding verwaltet gleichwohl nur noch die Minderheitsbeteiligungen, ohne selbst verlegerisch engagiert zu sein. Inhaltlich wehrt sich die Partei heute mit wissenschaftlichen Gutachten heftig gegen Vorwürfe, ihre Zeitungsbeteiligungen würden noch sozialdemokratische Positionen vertreten oder fördern. Auf sozialem Gebiet wird der SPD von Betriebsräten vorgeworfen, dass die Beschäftigten der SPD-Zeitungsbeteiligungen von der sozialdemokratischen Tradition nichts spürten und es lediglich noch Ziel der SPD sei »Millionen zu kriegen, ohne was dafür zu tun«, wie Bernd Köhler, der Betriebsratsvorsitzende der Sächsische Zeitung, einmal klagte. Auf die Marktzwänge reagierte die SPD also, indem die Funktion des verlegerischen Engagements (das der DDVG im Geschäftsjahr 2002 rund 18 Millionen Euro einbrachte, von denen knapp zehn Millionen an die SPD ausgeschüttet wurden) auf das eines reinen Investments reduziert wurde, das dadurch »zur finanziellen Unabhängigkeit der SPD« beiträgt, wie die DDVG bekundete – die Finanzierungsfunktion obsiegte jedoch über alle anderen Funktionen. Den umgekehrten Weg gehen Verlage, die angesichts der Ertragsschwäche ihrer Reformprojekte die Kosten senken und in einer relativen Marktnische verharren. Deutlich untertarifliche Gehälter für die Beschäftigten und geringe soziale Leistungen sind dabei etwa bei tageszeitung der Preis für inhaltliche Mitgestaltungsmöglichkeiten der Redakteure und die weiter bestehende Möglichkeit, eine Gegenöffentlichkeit zu erzeugen. Die Verluste werden durch ein genossenschaftliches Modell getragen, bei dem ein Teil der Leser als »politischen Preis« eine erhöhte Abogebühr entrichtet und bei dem sich die Leser durch Zeichnung von Geschäftsanteilen an den entstehenden Verlusten beteiligen, indem sie »keinen geldwerten Vorteil aus ihrem Investment ziehen wollen, sondern von der taz ausschließlich eine ›politische Rendite‹ fordern: in Form einer guten Zeitung«, wie es in einer Eigenwerbung hieß. Indem der Verlag dabei nicht nur am Markt Einnahmen realisiert, sondern zusätzlich fern der Marktmechanismen von der ihn tragenden Bewegung profitiert, werden die grundsätzlich bestehenden Marktnotwendigkeiten der Gewinnerzielung gedämpft. Noch weniger erfolgreiche Zeitungen wie die direkte aktion können ihre Forumsfunktion nur durch ehrenamtliches Engagement erhalten und bedienen einen noch kleineren Marktausschnitt. Eine weitere Möglichkeit ist das langjähriges Dulden von Defiziten zur Unterstützung der ethisch motivierten Aufgabenstellungen. Im Bereich der ethisch motivierten evangelischen Publizistik wurde das defizitäre Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt in die weiter zuschussbedürftige Magazinbeilage Chrismon umgewandelt, und auch die evangelische Nachrichtenagentur epd leidet unter betriebswirtschaftlichen Problemen. Die evangelische Publizistik hat sich einerseits an betriebswirtschaftlichen Kriterien zu orientieren, was zur Einstellung der Zeitschrift für Medienpädagogik medien praktisch führte. Sie richtet sich aber gezielt auch an säkulare Kunden, um dort eine Wertevermittlung zu betreiben. Die im ›Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik‹ gebündelten Unternehmensaktivitäten werden von den Herausgebern, den evangelischen Landeskirchen, subventioniert. Auf diese Weise ist diese ethische Publizistik derzeit der Notwendigkeit zumindest teilweise enthoben, sich allein durch die Erzielung von Gewinnen am Markt zu finanzieren. Im Ergebnis lässt sich
festhalten, dass im Spannungsverhältnis zwischen den Erfordernissen
des Marktes und den Zielen einer an ethischen Zielen ausgerichteten Verlagspolitik
für Betriebe der moralischen Ökonomie unterschiedliche Handlungsoptionen
bestehen. Diese hängen von den einzelnen Funktionen ab, die die Presse
jeweils übernimmt. Grundsätzlich bilden die finanziellen Erfordernisse,
denen alle Unternehmen in einem privatwirtschaftlich verfassten Mediensystems
unterliegen, den Rahmen des betrieblichen Wirtschaftens. Je stärker
die ethischen Funktionen den Konzentrationsprozessen am Markt zuwiderlaufen,
desto schwieriger ist ein wirtschaftlicher Zeitungsbetrieb. Ein Presseunternehmen,
dass primär ethisch-politisch motivierte inhaltliche Zielsetzungen
verfolgt, die den Leserkreis einengen, steht dabei unter besonderem ökonomischen
Druck. Ethisch motivierte aber weniger marktgängige Presseprodukte
können allein dort bestehen, wo die mit ihnen verflochtene politische
Bewegung (Herausgeber/Eigentümer sowie Leser) ausreichend stark ist
und zu finanziellen Stützungen in der Lage oder willens ist, bzw.
wo die Beschäftigten zu Lohnkostenreduzierungen bereit sind (Tabelle
4).
Bei der SPD führte erst die Abwendung der Leserschaft von den Parteien zu einer Verkleinerung des Marktes für Parteizeitungen, anschließend verweigerte die SPD bei verkleinerter Leserschaft eine Subventionierung und entschied sich für einen (Teil-) Verkauf. Zusammen mit den Zeitungen wurden alle Funktionen mit Ausnahme der Finanzierungsfunktion aufgegeben. Bei der taz ermöglicht die Subventionierung durch Leser- und Belegschaft einen Ausgleich für die in der Marktnische geringeren Erträge und damit eine Finanzierung der ethisch motivierten Unternehmensziele. Bei den kirchlichen Medien sinkt der Rückhalt der Leserschaft zusammen mit der abnehmenden gesellschaftlichen Verankerung eines christlichen Wertekanons, doch wird die evangelische Publizistik durch Subventionierungen aus dem Kirchensteueraufkommen erhalten. Die Subventionierung ist dabei jeweils abhängig von der Mobilisierungskraft der die Zeitung tragenden sozialen Bewegung: Eine erfolgreich mobilisierende Reformbewegung kann einen eingeschränkten Markterfolg ausgleichen und durch fixe Unterstützungsleistungen den Marktdruck abfedern. Stefan Matysiak
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Funktion der Presse - die taz. I Stefan Matysiak